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Steine und Räume – Reinhard Buxel

Eröffnungsrede von Prof. Dr. Manfred Schneckenburger
zur Ausstellung in der Galerie Teutloff am 21.02.1999

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Reinhard Buxel!

Seit den 60er Jahren griff die Kunst auf immer neue Materialien, Aggregatzustände, Räume und Medien aus. Kunst, das konnte ein Erdhaufen, eine Fettecke, eine Tonne Wasser oder eine Gaswolke sein. Sie ereignete sich auf der Straße, in der Wüste, am Himmel oder – Denken ist Plastik – in unseren Köpfen. Sie jagte von Begriff zu Begriff: vom Objekt zum Projekt, zum Prozess, zum Konzept, zum Event. Crossover heißt der jüngste promiskuitive Springinsfeld in den 90er Jahren.
Gerade die Plastik wurde zum stärksten Treibsatz bei der Explosion des Kunstbegriffes. Was dabei herauskam, war ein beispielloser Schub neuer plastischer – wirklich plastischer? – Möglichkeiten, aber auch – fassen wir den Begriff Plastik enger – eine Krise ihrer Identität?
Gegen die allgemeine Ideologie der Expansion, tat die Steinplastik sich naturgemäß schwer. Experimenten bot sie den härtesten Widerstand. Die zentralen, weithin tragenden Vorstöße zum Aufbruch der Moderne – Picassos Gitarrenreliefs von 1912, Duchamps “Readymades“, fangen mit dem Stein ohnedies nichts an.
Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts war Denk- und Grabmalkunst dann eine drückende Hypothek, die von Brancusi, Moore bis hin zu Rückriem und nur nach und nach abgetragen wurde. Die Mesalliance der steinernen Kolosse mit dem Totalitarismus jeder Couleur verlängerte den Misskredit. Verliefen die eigentlich progressiven Linien nicht allemal ins Multimateriale, Multimediale oder zu den Metamorphosen des Objekts?
Wäre es überzogen, dennoch, dem main stream zum Trotz, eine unverrückbare Bastion festzustellen, die sich allen Auflösungen und Identitätskrisen widersetzt, eine Position der Beharrung, keineswegs der Erstarrung ? Ein Weg zur vielberufenen „Sprache des Steins“, der nicht nur als Volumen und Oberfläche in Erscheinung tritt, sondern auch aufgeschnitten – gesägt und von innen nach außen gekehrt wird?
Schon 1907/8 hatten Derains subtile verblockte “Kauernde“ und Brancusis “Kuss“ den Stein sogar an die Spitze der epochalen Wendung gegen Rodin gebracht. Die „ taille directe“ verwies die gewohnte Übertragung kleiner Gipsmodelle mit dem Punktierzirkel ins Abseits. Dass sie sich meilenweit von der gefährlichen kunstgewerblichen “Materialgerechtigkeit“ entfernte, hat uns keineswegs erst Henry Moore gezeigt. Um 1970 schloss Rückriem dann zur Konzept- und Prozesskunst auf. Er hat den Stein wieder avantgardefähig gemacht.

Lässt das Werk Reinhard Buxels sich auf dieser Linie eintragen und dabei seine Eigenart und Individualität deutlich herausarbeiten ? Als ein besonders kräftiger, doch keineswegs erratischer Haltepflock im raschen Umschlag der Attituden und Konzepte? Als ein Stück genuiner Steinbildhauerei, in dem das Material gleichermaßen zu Natur und Kultur verdichtet ist ? Mit den Worten meines Freundes Lothar Romain: als „ein Balanceakt zwischen Natur und Geist ?“
Doch gerade diesem Künstler stehen große Worte wie Natur, Kultur, Geist, in denen mythische Überhöhung mitschwingt, nicht im Sinn. Selbst naheliegende Erinnerungen an megalithische Kultbauten, an Hünengräber und Menhire gelten ihm für subjektiv und tertiär. Auch eindeutige Anmutungen an Architektur – Turm – Tor – Terrasse – Brücke – oder Möbelfunktion – Tisch – Bank – lenken vom Entscheidenden eher ab.
Ich kenne kaum einen Steinbildhauer, der sich so für dererlei Assoziationen anbietet, und sich doch allem Rhetorischen, bloß Angedachten so radikal entzieht. Der den schieren bildhauerischen Prozess so absolut setzt. Keinen, ( außer vielleicht Rückriem, auf den ich, nolens volens, gelegentlich zu sprechen komme ) , der so dezidiert vom Stein, (exakt: vom federnden Ibbenbürener Sandstein ) ausgeht, auf ihn zugeht, mit ihm umgeht, bis er Form ( weniger Farbe ) bekennt. Der so puristisch Bild-HAUER bleibt, wenn wir den Begriff “Bild“ sehr weit fassen. Keinen, der in seinem Metier so phrasenlos denkt, hämmert, meißelt, glättet, schleift.
Ich weiß, es ist ein Klischee, aber ich kann mir nicht helfen: hier ist auch ein bodenverhafteter, allem Schweifen und Ausschweifen abholder, genuin westfälischer Bildhauer zu sehen.
Das beginnt schon damit, dass er nicht sägen und schneiden LÄSST, sondern sein Material unverändert, Rohblock für Rohblock aus Ibbenbüren holt.
„Primärmaterial“ sagt Buxel und meint damit den Gegensatz zur vorgefertigten Bestellung, wie zur vorgearbeiteten Konfektion.
Es setzt sich fort in Skulpturen, die weder zersägt noch geschnitten, sondern aus einzelnen Rohsteinen zusammengesetzt und -gefügt sind. Jeder Stein der neben seinem Atelierzelt in Salzkotten abgeladen wird, behält mehr oder weniger Volumen, Oberfläche, Umriss. Keiner wird zum beliebig überformbaren, verwandelbaren Material, ob nun der unveränderliche Riesenklotz sich seine Form sucht oder die Form im Kopf des Bildhauers sich ihren geeigneten Klotz sucht.
Das ist wichtig: bei Buxel spricht nicht Moores “Steinheit“ im allgemeinen, sondern jeder einzelne Stein wird zu einem tragenden oder lastenden, fassenden oder gefassten Bestandteil der Skulptur. Ein grundlegender Gegensatz zu Rückriem: keine Zertrennung des Ganzen, damit sich die Teile zu einer neuen Gewichtung und Rhythmisierung fügen, sondern Zusammenfügung vorgegebener Teilstücke zu einer Ordnung eigener Art. Kein subtraktives, wohl aber ein additives Vorgehen!
Worin besteht das Besondere dieser Skulpturen?
Dass der rohe Bruchstein und der bearbeitete Haustein aufeinanderstoßen, gilt auch für Andere. Der gelernte Steinmetz Rückriem reichert seine Strategie durch ein ganzes Repertoire von Sägen, Schneiden, Stocken, Bohren, sowie verschiedene Schliffe und Polituren an. Das kann in Ausnahmefällen ins Rhetorische, Pathetische abgleiten, wo der gänzlich unpathetische Buxel sich strickt auf den ruppigen Kontrast von – Fels und Block -, – roh und bearbeitet -, zurücknimmt. Selbst die sichtbaren, durchaus reizvollen coloristischen Effekte, bunte Adern und Nester oder Verfärbungen durch die Witterung werden eher hingenommen als ausgespielt.
Nein, Buxel erneuert ein plastisches Thema der klassischen Moderne: das Verhältnis von Schale und Kern.
Bereits Archipenko, Boccioni, dann Henry Moore hatten das Problem nach vorne gerückt und vor allem innere und äußere Form in geschmeidigem Wechselspiel ineinander verschliffen.
Buxel definiert den Gegensatz auf verblüffende Art ebenso schlüssig wie elementar, rein aus der Materialität des Steins. Ich vereinfache über Gebühr. Roh und bearbeitet werden Außen und Innen, Schale und Kern. In einem Analogon: Rinde und aufgeschnittenes Holz.
Wo immer die natürliche Epidermis, die Narben, Buckel, Spuren der Erosion, die rauen Unregelmäßigkeiten stehen bleiben, wie der Kran sie aus dem Steinbruch reißt, ist außen. Wo immer die Oberfläche bearbeitet, begradigt und ( in Grenzen ) geglättet wird, ist innen. Hammer und Meißel öffnen wie schließen also innere Räume und konstruktive Strukturen auf.
Was immer Buxel schichtet, auflegt, unterschiebt, einschiebt, umfasst, – es sucht einen Ausgleich zwischen diesen Zuständen, ihre Stimmigkeit. Eine Steinfläche kehrt sich zum Beispiel als obere Abdeckung oder Front nach außen: Haut. Steine stoßen aneinander, aufeinander, sind ineinander verfugt : Binnenraum. Oder sie springen wie abgeschält zurück und bilden eine innere Front. Je größer die Skulptur, desto roher folgt der Zugriff von Hammer und Meißel, je kleiner, desto feiner der Schliff.
Die Spannung für den Betrachter liegt nicht zuletzt darin, diesem Außen – und Innenleben zu folgen, es sichtbar zu machen, ja zu ermöglichen. Es gilt das System ( wenn es denn eines gibt ) im Wechsel zu erkennen, Varianten und Umkehrungen zu entdecken.
Warum Außenhaut ? Abschluss ! Warum der Weg in den Stein ? Aufschluss !
Tragen und Lasten gehören auf diese Linie ( es gibt auch andere Linien ) zum Wesen des Steins. Deshalb die Verzahnungen und Stufen, zu denen Buxel auch Brüche, Schadstellen, Splitterungen im Material umarbeitet und nutzt !
Jede Skulptur ist so auch ein konstruktiver Verbund mit individuellem Umriss und einer linearen Gliederung, ein Verbund in dem Maßverhältnisse und Gewichte subtil rhythmisiert ablesbar sind. Sein Gesetz gründet nicht im Nebeneinander, Aufeinander, sondern im Ineinander. Diese Skulpturen sind nicht nur geschichtet sondern verklammert und verfugt. Sie gewinnen daraus eine eigene statische Dichte und Plastizität. Sie erinnern mich fast an das Wunder der Inka-Mauern von Cuzco in Peru.
Deshalb zum Schluss keinen romantischen, idealistischen Aufschwung, mit dem Reden über Kunst so gerne enden. Auch keinen politischen, sozialen oder sonstwie gesellschaftsnahen Brückenschlag ! Nicht einmal das angesprochene Gleichgewicht von Natur und Kultur, das letztlich doch wieder Reste von Ideologie mit sich zieht. Buxel überführt auch diese Dialektik in sein bildnerisches Prinzip – mir ist das genug.
Ich folge seiner schnörkellosen Rigidität und finde ebenso viel Reichtum wie Genauigkeit darin. Und entdecke, wie als eine Zugabe für meine Bescheidung, mit einem Mal, wie gut mir diese – im doppelten Sinn – bodenständigen, unverrückbaren Skulpturen in einer Welt flüchtiger elektronischer Impulse und virtueller Bilder tun.
Eine Gegenposition ?

Ich sehe sogar ein therapeutisches Moment, – also doch einen Zeitbezug -.

Kein Künstler arbeitet außerhalb seiner Zeit.

Danke.